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Grenzwesen


Sie war ein Grenzwesen, an der Grenze lebend. Nicht so nahe an der Grenze, dass es deutlich auffallen würde, aber nahe genug um bei genauen Hinsehen sichtbar zu sein. Momentan genoss sie es, sich auch innerlich als Grenzwesen zu definieren. Sie war eine „Transe“, im vollen Selbstbewusstsein – daran war nichts Schlechtes, nichts Gutes – es war, und es war oft schön, frenetisch, berauschend aber auch abgründig, tief traurig. Sie war in letzter Zeit verdammt dünnhäutig geworden, durchlässig für Verletzungen und Enttäuschungen, „nah am Wasser gebaut“ so nahe wie nie zuvor. Offen im Denken und Handeln, leicht verletzbar, leicht verletzlich durch Wort und Tat. Andererseits es war ihr möglich Dinge zu tun, die sie noch vor Monaten in Ekel und Abwehr versetzt hätten. Ihre Bandbreite war um vieles breiter geworden, es war ihr wesentlich mehr möglich als vorher. Es war jenes tiefe weibliche Gefühl, selbst direkt nie fassbar, aber plötzlich vorhanden, es erfüllte es sie mit tiefem Glück, mit der Harmonie des Augenblicks:  "Ich kann so leben wie ich bin" Dieser Gedanke, diese Leichtigkeit entschädigte für alles und heilte die Wunden des seelischen Schmerzes binnen Kürze.

Sie war ein Grenzwesen. Sie lebte den Zwiespalt, und doch hatte sie Gegensätze aufgehoben, unüberwindliche Polaritäten lagen hinter ihr. Zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Technik und Magie, zwischen Ohnmacht und Allmacht, zwischen Mann und Frau lebte sie nun in der realen Welt. Es war unvorstellbar, unglaublich herrlich aber ebenso verrückt, verrückt im Sinne des Verrücktseins, des Abweichens, des Entfernen vom Normalbild. Sie hatte es geschafft die innere und äußere Schwingung zu koordinieren, eins zu sein mit sich selbst.   

Sie war ein Grenzwesen. Sie war immer ein Grenzwesen gewesen, seit Anbeginn der Zeit, der sich erinnerbaren Zeitspanne bis jetzt. Sie hatte viele Zeiten erlebt, Zeiten der Angst, Zeiten der Erregung, Zeiten der Allmacht, Zeiten des bodenlosen Abgrundes, Zeiten der Extaste, Zeiten des Erfolges und jetzt war sie angelangt in einer Zeit tiefer innerer Ausgeglichenheit.

     

Friederike (Ricky) Lorenz    8.11.99