Eva Fels, Dagmar Fink
Was ist Sexismus?
Impulsreferat zum Workshop "Was ist Sexismus?
Was haben feministische Strategien mit Transgender-Politiken
zu tun?"
02.02.2002, Café Willendorf, Wien
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Schlägt eine/r das Wörterbuch auf, um Definitionen von Sexismus nachzuschlagen, so lässt sich feststellen, dass Sexismus als Benachteiligung hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, von Frauen aufgrund ihrer (vermeintlichen) Geschlechtszugehörigkeit definiert wird. Hier nur einige zur Auswahl:
Brockhaus (1984): aus dem Amerik. übernommener kritischer Begriff der emanzipatorischen Frauenbewegung, der die Formen der Benachteiligung und Unterdrückung der Frau auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit bezeichnet.
Duden (1990): Haltung, Grundeinstellung, die darin besteht, einen Menschen allein auf Grund seines Geschlechts zu benachteiligen; insbesondere diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen.
The Wordsworth Dictionary of Sex (1987): Ein Muster der Diskriminierung eines bzw. einer Einzelnen (normalerweise einer Frau) oder einer Gruppe, welches auf vorurteilsbeladene Annahmen und Haltungen zurückzuführen ist. Beispiele sind „Eine Frau gehört ins Haus“, „Frauen – das schwache Geschlecht“, „Frauen sind zu emotional für Leitungspositionen“ oder „Frauen halten dem Wettbewerb nicht stand“. (Übers. D.F.)
Selbstredend wollten wir uns bei der Definition von Sexismus nicht allein auf Wörterbücher verlassen und haben daher in diversen feministischen Publikationen aus unterschiedlichen Jahren recherchiert. Auch hierzu im Folgenden eine kleine Auswahl.
Sexismus: „definiert die diskriminierenden Ideologien und Praktiken einer Gesellschaft, die sich in dem Spielraum niederschlagen, der einem Individuum zur Selbstverwirklichung gestattet wird, wobei das Geschlecht die Basis für selektive Auswahl oder Zurückweisung ist“.(Stoll, 1973, zitiert in H. Schenk, 1979)
„Das gemeinsame Element des Sexismus besteht darin, dass eine Festlegung auf eine sozial definierte Geschlechtsrolle und damit eine Einengung erfolgt“. (H. Schenk, 1979, S. 139)
Sexismus „ist Menschen aufgrund ihres Geschlechts zu stereotypisieren, so wie der Rassismus die Stereotypisierung von Menschen nach der Rasse ist“. (Sara Delamont, 1980)
„Sexismus bezeichnet sowohl die allgemeine Vorurteilshaltung: Menschen vor allem durch die Brille von Geschlechtsstereotypen zu sehen; wie auch den konkreten Inhalt des Vorurteils: sich aufgrund des eigenen männlichen Geschlechts für besser, klüger oder wichtiger als Frauen zu halten.“(Frauenhandlexikon, 1983)
Sexismus wird überall dort deutlich, wo Frauen zuerst als Geschlechtswesen und dann erst als Menschen betrachtet und behandelt werden. (Projekthandbuch: Gewalt und Rassismus, 1993)
Geschlecht ist das Fundament des Patriarchats. Es gibt keine männlichen Privilegien, wenn es keine Männer gibt (Kate Bornstein, 1995, S, 115).
Historisch gesehen wurde der Begriff „Sexismus“ in den 60er Jahren von der us-amerikanischen Frauenbewegung in Analogie zum Begriff des Rassismus entwickelt und sollte ein Unterdrückungsverhältnis überhaupt erstmals benennbar machen. Ebenso wie es die vorrangige Politik des US-Antirassismus war zunächst den Ausschluss von Schwarzen aus gesellschaftlichen Räumen und Institutionen anzuprangern (Woolworth - Blockade), konzentrierte sich die Sexismus-Kritik auf die Benachteiligungs- und Ausschlussriten von Frauen als FRAUEN. Auch wenn feministische Definitionen des Sexismus eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts formulierten, bezog sich diese Definition doch – so möchten wir unterstellen – auf die Diskriminierung von Frauen. Dies erklärt sich jedoch nur zum Teil aus dem spezifischen Anliegen der Frauenbewegung, vielmehr ist festzuhalten, dass allgemein bis vor nicht allzu langer Zeit die Begriffe Frauen und Geschlecht nahezu synonym gebraucht wurden, da – mit Monique Wittig gesprochen – nur Frauen als Menschen mit einem Geschlecht gesehen wurden, als Abweichung von der Norm MANN, welcher geschlechtlich nicht markiert wurde. Dies galt und gilt jedoch nur für den heterosexuellen Mann.
Sexismus steht also in einem Verhältnis zu
Der Heterosexismus naturalisiert Heterosexualität und setzt diese – als einzige, oder einzig „normale“– Sexualität überall voraus. Dabei werden bei weitem nicht nur Homosexuelle unsichtbar gemacht bzw. als „nicht normal“ dargestellt, sondern alle, die dem heterosexistischen Mann/Frau – Bild nicht entsprechen.
Es ist allerdings zu kurz gegriffen, Heterosexismus als eine Ideologie zu verstehen, die nur Homosexuelle angreift. Heterosexismus trifft auch und gerade Heterosexuelle, die durch die Drohung mit Schwulen oder Lesben gleichgesetzt zu werden, an Geschlechternormen angepasst werden. Ebenso ist es ein Trugschluss zu meinen, nur Heterosexuelle seien heterosexistisch, Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders könnten aufgrund ihrer Sexualität überhaupt nicht heterosexistisch sein. Nicht nur braucht Heterosexualität ein konstitutives Außen, um sich, in der Abgrenzung von allen anderen Sexualitäten, überhaupt als Norm setzen zu können – ohne Homo- gäbe es keine Heterosexualität. Darüber hinaus ist unserer Kultur eine heterosexuelle Matrix eingeschrieben, die nicht äußerlich bleibt, sondern vielmehr aktiv verlernt werden muss.
„Der Begriff heterosexuelle Matrix steht [...] für das Raster der kulturellen Intelligibilität, durch das die Körper, Geschlechtsidentitäten und Begehren naturalisiert werden. [...] Es geht darum, ein hegemoniales diskursives/ epistemisches Modell der Geschlechter-Intelligibilität zu charakterisieren, das folgendes unterstellt: Damit die Körper eine Einheit bilden und sinnvoll sind, muß es ein festes Geschlecht geben, das durch eine feste Geschlechtsidentität zum Ausdruck gebracht wird, die durch die zwanghafte Praxis der Heterosexualität gegensätzlich und hierarchisch definiert ist. (Butler 1991, S. 219f, Fn6; Hervorh. d.A.)
Wenn zuvor gesagt wurde, dass nur das Konzept des heterosexuellen Mannes unmarkiert in der Geschlechterordnung bleibt, so muss weiter präzisiert werden, dass dies nur für die Idealkonstruktion des heterosexuellen, weißen, bürgerlichen Mittelstandsmann gilt. Sexismus verschränkt sich nämlich nicht nur mit Heterosexismus, sondern auch mit allen anderen sozialen Kategorisierungen.
In feministischen Theorien wurde dies weitgehend vernachlässigt, bis sowohl lesbische als auch postkoloniale Feministinnen vehement gegen die Annahme einer universalen Kategorie „Frau“, welche als Opfer des Sexismus betrachtet wurde, protestierten. Elisabeth Spelman formuliert diese Vorgehensweise folgendermaßen:
„... wenn wir verstehen wollen, wie sich Sexismus auf die Art und Weise, in der Frauen behandelt werden auswirkt, untersuchen wir zunächst das Leben von Frauen, deren Situation nicht noch weiter durch ihre Klassen- oder rassisierte oder religiöse oder sonstige Identität verkompliziert wird: denn wenn diese Frauen schlecht behandelt werden, muss das am Sexismus liegen und an nichts anderem. Und damit haben wir dann begonnen, auch dem Leben anderer Frauen Rechnung zu tragen, insofern sie dem Sexismus unterworfen sind, unabhängig von den anderen Formen der Unterdrückung, denen sie unterliegen mögen.“ (Spelman 1988, S. 51; Übers. D.F.)
Postkoloniale Feministinnen warfen dem Feminismus daher vor, dass dessen Bestimmung des ‘Frau-Seins’ aus der Perspektive weißer Mittelschichtsfrauen verfasst sei. Die Kategorie ‘Frau’ schließe alle nicht-weißen Frauen aus. Zwar berücksichtigten feministische Theorien auch andere Faktoren der Diskriminierung als Geschlecht, wie ‘Rasse’ oder Klasse, diese würden jedoch dem Geschlecht untergeordnet. Hierzu abermals Elizabeth Spelman:
„Insgesamt gesehen werden in der additiven Analyse von Sexismus und Rassismus alle Frauen vom Sexismus und manche Frauen zusätzlich vom Rassismus unterdrückt. Eine solche Analyse verzerrt die Erfahrungen der Unterdrückung, wie sie schwarze Frauen erleben, weil sie wichtige Unterschiede in dem Kontext nicht berücksichtigt, in dem schwarze und weiße Frauen Sexismus erfahren. Die additive Analyse legt zudem den Schluß nahe, die Rassenidentität einer Frau ließe sich von der Summe ihrer Geschlechts- und Rassenidentität quasi >subtrahieren<.“ (Spelman, zitiert in Nicholson 1994, S. 210f)
Wenn wir verstehen wollen, wie Sexismus funktioniert, reicht es daher nicht aus, nach einer Diskriminierung qua Geschlecht zu fragen. Alle anderen sozialen Kategorien müssen vielmehr mitbedacht werden.
Darüber hinaus wird der Begriff Sexismus heute oft synonym für „sexuelle Belästigung von Frauen“ verwendet. In der Regel ist eine/r sich jedoch bewusst, dass sexuelle Belästigungen nur einen Teil des offenen Sexismus darstellen, Sexismus selbst aber die zugrundeliegende Struktur der Geschlechterordnung bezeichnet, die sich vor allem als strukturelle Gewalt im latenten Sexismus manifestiert. Damit ist es freilich auch problematisch, Sexismus auf offen beanstandete Diskriminierungen und empfundene Misshandlungen zu reduzieren. Schließlich bindet Sexismus Opfer und TäterInnen – wenn auch unterschiedlich und vor allem mit gänzlich verschiedenen Effekten – in einer gemeinsamen sexistischen Struktur ein, die von beiden reproduziert wird. Sexismus ist dort am erfolgreichsten, wo er klaglos funktioniert.
Gelegentlich trifft man auf das Verständnis von
Diese Definition setzt durch die Bezugnahme auf „Minder-“ und „Höherbewertung“ einen Wertemaßstab voraus. Aussagen wonach Menschen eines Geschlechts pauschal unterstellt wird, dass sie stark, schön, durchschlagskräftig oder bescheiden sind oder sein sollten, wären demnach nur dann sexistisch, wenn die entsprechenden Attribute als abwertend empfunden werden.
Eine Sexismus-Definition, die eine Minderbewertung voraussetzt, erfordert aber nicht nur ein gemeinsames Verständnis davon, was als minderwertig qualifiziert wird, sondern auch davon, welche Aspekte in die Bewertung einbezogen werden.
Sexistische Klassifikationen basieren schließlich wesentlich häufiger auf vermeintlichen Positivbewertungen, da diese von den GeschlechtsträgerInnen leichter angenommen werden. Wenn Männer mit Verweis auf „typisch männliches Verhalten“ die Sau heraushängen lassen, werden sie nicht als „Eber“, sondern als „urwüchsig“ bezeichnet.
Genauso wird gerade die Idealisierung einer „Weiblichkeit“ dazu verwendet, Frauen an normative Geschlechtsmuster anzupassen. Typische Beispiele dafür sind Ritterlichkeit und Gegensexismus. Unter Ritterlichkeit versteht man Pseudo-Antithesen zu sexistischen Ideologien, die vor allem von Männern formuliert werden (Frauen sind hübsch, sparsam, sauber, mütterlich, blablabla) während Gegensexismus vor allem von Frauen eingebracht wird (Frauen sind sozialer, sensibler, weniger wehleidig, in einer stärkeren Beziehung zur Göttin, blablabla). In beiden Fällen werden Angehörige eines Geschlechts in ein normatives Korsett „typischer Weiblichkeit“ eingebunden.
Wir können Sexismus nicht offenlegen, solange wir ein möglicherweise sexistisches Wertemuster zu seiner Identifikation anlegen wollen. Damit bleibt nur
zu verstehen. Wie die Definition über die „Minderbewertung“ referiert auch diese Formulierung unmittelbar auf die wesentliche Leistung des Sexismus, nämlich die Wertung. Durch den Sexismus erhält der mögliche Gebrauchswert des Geschlechts einen Marktwert. Die Sexismus-Definition verweist damit unmittelbar auf die Produktion des Geschlechts durch menschliche Arbeit. Geschlecht wird produziert.
Jede anti-sexistische Kritik setzt an diesem gesellschaftlichen Produktionsprozess an: der Bildung der Differenz durch Aus- und Abgrenzung und der Fusion zu Subjekten molarer Geschlechterkategorien. Antisexismus hebt sich fundamental von sexistischen Ansätzen dadurch ab, dass sozial relevante Geschlechtsdifferenzierungen nicht mehr auf angeborene Charakteristika zurückgeführt werden können (J. Schönert, 1996).
In diesem Sinn kann Judy Butler als radikale Anti-Sexistin gelesen werden: „Dass die Geschlechterrealität durch aufrechterhaltende gesellschaftliche Performance geschaffen wird, bedeutet gerade, dass die Begriffe der wahren und unvergänglichen Männlichkeit und Weiblichkeit ebenfalls konstituiert sind.“ (1991, S.208)
Wir wissen, dass die Produktionstechnologien von Geschlecht auch recht ungesund sein können; zumindest allgergieerregend. Die wesentliche Frage ist aber sicherlich, inwieweit diese Produktion selbstbestimmt sein kann und ob die Bewertung aufgrund der Geschlechtsperformance nicht zwangsläufig Entfremdung impliziert.
So fundamental diese Aspekte für jede antisexistische Kritik sind, so selten werden sie ausformuliert. Vielleicht sollten wir – nach all den vorangegangenen Definitionen - noch eine weitere Definition von Sexismus anbieten, die darauf deutlicher Bezug nimmt:
Diese Definition
ist freilich insofern eingeschränkt, als sie das Hauptgewicht auf dem Sexismus
gegenüber anderen legt und die produktive Leistung der eigenen Stilisierung des
Geschlechts sowie der eigenen Geschlechterrepräsentation auf die
Geschlechtsbilder anderer nur andeutet.
Als erster an- und umstößlicher Entwurf mag sie aber dazu beitragen, den Blick auf die wesentlichen Fragen des Sexismus freizugeben:
Wie wär’s? Wollen wir den Sexismus nicht einfach radikal überwinden?
LITERATUR:
Kate Bornstein (1995), Gender Outlaw: On Men, Women and the Rest of Us; New York: Routledge [look@amazOn.de].
Judith Butler(1991), Das Unbehagen der Geschlechter; aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. Frankfurt a.M.: Suhrkamp [look@amazOn.de]
Carol Hagemann-White (1983), „Sexismus“, in: Frauenhandlexikon, Stichworte zur Selbstbestimmung. Hg. v. Johanna Beyer, Franziska Lamott & Birgit Mayer; München: Beck, S. 260-263 [look@amazOn.de].
Marielouise Janssen-Jurreit (1984), „Zur Rekonstruktion des Patriarchats. Thesen zu einer Theorie des Sexismus“, in: Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat. Hg. v. Barbara Scheffer-Hegel, Brigitte Wartmann. Berlin: TU Berlin, S. 104-127.
Kulturzentrum Bremgarten (2001), „Männergewalt gegen Frauen“, in Sexismus? Sex is must? Hat das etwas mit Sex zu tun? Karnikl, http://www.kuzeb.ch/karnikl/04-12.htm
Linda Nicholson (1994), „Was heißt ‚gender’“; aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, in: Geschlechterverhältnisse und Politik. Institut für Sozialforschung Frankfurt (Hrsg.), Red. Katharina Pühl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 188-220. [look@amazOn.de]
Herrad Schenk (1979), „Geschlechtsrollenwandel und Sexismus: zur Sozialpsychologie geschlechtsspezifischen Verhaltens“. Weinheim & Basel: Beltz [look@amazOn.de].
Joachim Schönert.(1996), „Über Sexismus und Hetro(a)sexismus“, Lust - Lesbische und Schwule Themen, Heft 36, http://www.lust-zeitschrift.de
Elizabeth Spelman (1988), Inessential Women. Problems of Exclusion in Feminist Thought. Boston [look@amazOn.de].
Monique Wittig, „The Point of View: Universal or Particular?“; Feminist Issues 3, Nr. 2 (Fall 1983), S. 63-69.